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Don Farrago: Zum Welttag des Buches: Der längste Satz eines Nobelpreisträgers

Dienstag, 22. April 2008

Zum Welttag des Buches: Der längste Satz eines Nobelpreisträgers

Im Jahre 1995 wurde der 23. April von der UNESCO zum Welttag des Buches (World Book and Copyright Day) proklamiert, als Feiertag für das Lesen, für Bücher, für die Kultur des geschriebenen Wortes und auch für die Rechte ihrer Autoren.

Wie kraftvoll das geschriebene Wort sein kann, zeigt der folgende wohl längste Satz der modernen Literaturgeschichte aus einem der größten Werke der Weltliteratur, dem Roman "Hundert Jahre Einsamkeit" des kolumbianischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Gabriel José García Márquez.

Dieser Satz steht in folgendem Zusammenhang: Die schöne Fernanda del Carpio, Spross eines verarmten Adelsgeschlechts und Kranzflechterin im familiären Bestattungsunternehmen, wird durch ihre Eheschließung mit Aureliano Segundo in das abgelegene Nest Macondo verschlagen, das im Mittelpunkt der Romanhandlung steht. Hier platzt ihr eines Tages der Kragen, und sie macht sich Luft über ihre häusliche und familiäre Situation:

Es war Fernanda, die durchs ganze Haus zog und klagte, man habe sie nur zu einer Königin erzogen, damit sie als Dienerin in einem Irrenhaus ende mit einem Haderlump, Götzendiener und Wüstling als Mann, der sich mit offenem Mund hinlege und erwarte, daß Himmelsbrot ihm in den Mund regne, während sie sich die Nieren ausrenke in dem Bemühen, ein mit Stecknadeln zusammengebasteltes Heim aufrechtzuerhalten, in dem es so vieles zu tun, so vieles zu ertragen und verbessern gab, von der Gottesfrüh an bis zur Stunde des Schlafengehens, daß sie ins Bett fiel, die Augen voller Glasstaub, und trotzdem sagte kein Mensch zu ihr guten Morgen, Fernanda, wie hast du geschlafen, Fernanda, kein Mensch fragte sie, wenn auch nur aus Höflichkeit, warum sie so blaß sei, warum sie mit violetten Augenrändern aufwache, obgleich sie natürlich solches nicht vom Rest einer Familie erwarten könne, die sie schließlich und endlich immer nur als Störung empfunden habe, als Herdlappen, als an die Wand gepinselten Zieraffen, und die tagaus, tagein in den Ecken über sie tuschle und sie eine Frömmlerin nenne, sie eine Pharisäerin schimpfe, ein Luder schimpfe, wobei sogar Amaranta, Gott gebe ihr ewige Ruhe, laut verkündet habe, sie gehöre zu denen, die den Mastdarm mit der Karwoche verwechseln, gelobt sei Gott, was für Worte, und sie, sie habe dem Willen des Heiligen Vaters zuliebe alles mit Entsagung ertragen, doch dann habe sie es nicht länger ausgehalten, als der Schurke von José Arcadio Segundo behauptete, das Verderben der Familie komme nur daher, daß sie ihre Türen einer Zierpuppe geöffnet habe, man stelle sich vor, einer angeberischen Zierpuppe, Gott behüte, einer Zierpuppe, die ein Kind des bösen Speichels sei und vom gleichen Kaliber der Lackaffen, welche die Regierung herschicke, um Arbeiter umzubringen, man höre sich das an, und er meinte damit keine andere als sie, das Patenkind des Herzogs von Alba, eine Dame von so edler Herkunft, daß den Frauen der Präsidenten die Leber schwoll, eine Uradlige wie sie, die das Recht hatte, mit elf altspanischen Zunamen zu unterschreiben, und die die einzige Sterbliche in diesem Dorf von Bankerten war, die sich durch ein Gedeck mit sechzehn verschiedenen Bestecken nicht aus dem Konzept bringen ließ, damit der Ehebrecher von ihrem Ehemann halbtot vor Lachen sagen konnte, so viele Löffel und Gabeln, so viele Messer und Löffelchen seien nichts für Christen, sondern für Tausendfüßler, und die die einzige war, die mit verbundenen Augen sagen konnte, wann man den Weißwein serviert und von welcher Seite und in welches Glas, und wann man den Rotwein serviert und von welcher Seite und in welches Glas, und nicht wie das Bauerntrampel von Amaranta, sie ruhe sanft, die glaubte, Weißwein werde tags serviert und Rotwein abends, und sie, die einzige an der ganzen Küste, die sich rühmen durfte, sich nur in goldene Nachttöpfe erleichtert zu haben, damit der Oberst Aureliano Buendia, er ruhe sanft, mit seiner bösen Freimaurergalle die Unverschämtheit besitze zu fragen, wo sie sich dieses Vorrecht verdient habe, ob sie vielleicht nicht etwa Scheiße kacke, sondern Lilien, man stelle sich das vor, und damit Renata, ihre ureigene Tochter, die indiskreterweise ihre Entleerung im Schlafzimmer gesehen hatte, erwidert habe, ja, der Nachttopf bestehe aus reinem Gold und Wappenschmuck, doch darin sei Scheiße, körperliche Scheiße, die aber schlimmer sei als die der anderen, weil es Scheiße einer Zierpuppe sei, man stelle sich vor, das von der eigenen Tochter, darum habe sie sich nie Illusionen über den Rest der Familie gemacht, jedenfalls dürfe sie mit Recht etwas mehr Rücksicht von seiten ihres Gatten erwarten, schließlich sei er ihr Ehegatte vor dem Sakrament, ihr Urheber, ihr gesetzlicher Schänder, der aus freiem, erhabenem Willen die schwere Verantwortung auf sich genommen habe, sie aus ihrem Elternhaus wegzuholen, wo ihr nie etwas gefehlt oder wehgetan hatte, wo sie zu ihrem eigenen Zeitvertreib Trauerwedel geflochten habe, zumal ihr Taufpate einen Brief mit seiner Unterschrift und dem Petschaft seines Siegelrings gesandt habe, nur um zu sagen, die Hände seines Patenkindes seien nicht für die Aufgaben dieser Welt gemacht, es sei denn fürs Klavichordspielen, trotzdem habe der Wahnsinnsmensch von einem Ehegatten sie aus ihrem Elternhaus gezerrt mit allen Ermahnungen und Warnungen und sie dabei in diesen Höllenbrutkessel geschleift, wo man vor Hitze nicht atmen könnte, und noch bevor sie ihr Pfingstfasten beendet hatte, sei er mit seinen Wandertruhen und seinem Bummlerakkordeon abgezogen und habe sich in krassem Ehebruch mit einer Schlampe verlustiert, bei der man sich bloß den Hintern anzusehen brauche, na schön, was gesagt ist, ist gesagt, nun ist es raus, die man bloß mit ihrem Stutenhintern wackeln zu sehen brauchte, um zu erraten, daß sie eine, daß sie eine war, ganz im Gegensatz zu ihr, die sie eine Dame war, sei es im Palast oder auch im Schweinestall, am Tisch oder im Bett, eine Dame von Geburt, gottesfürchtig, gehorsam Seinen Gesetzen und Seinem Ratschluß untertan, mit der man folglich nicht die Geilereien und die Bocksprünge machen konnte, die er mit der anderen aufstellte, die sich natürlich zu allem hergab wie die französischen Matronen, ja noch schlimmer, wenn man's recht bedachte, weil diese wenigstens so ehrbar waren, eine rote Lampe vor ihre Tür zu hängen, dergleichen Sauereien, man stelle sich vor, das fehlte noch gerade, mit der einzigen, vielgeliebten Tochter der Doña Renata Argote und des Don Fernando del Carpio, vor allem natürlich dieses heiligen Menschen und Mannes, dieses ganz großen Christen, eines Ritters vom Orden des Heiligen Grabes, jener, die unmittelbar von Gott das Vorrecht empfangen, sich unversehrt in ihrer Gruft zu bewahren mit einer Haut seidenweich wie ein Brautkleid und mit Augen, durchsichtig wie Smaragd.



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3 Kommentare:

Am/um 22.04.08, 18:56 , Anonymous Anonym meinte...

Ein sehr schöner Beitrag von dir! Ich wollte schon widersprechen, weil es einen längeren ersten Satz von Thomas Bernhard aus Der Keller gibt, aber Thomas Bernhard ist nicht Literaturnobelpreisträger :-)
LG

 
Am/um 22.04.08, 23:07 , Blogger Don Farrago meinte...

Man kann sich hier so richtig vorstellen, wie die Dame rumzetert, man hört es fast, wenn man es liest… Ich war mir nicht sicher, ob es tatsächlich der längste Satz ist, deswegen habe ich den Nobelpreisträger und die Einschränkung "der wohl längste Satz" mit reingebracht. (Es ist übrigens nicht der erste Satz, sondern er steht im hinteren Drittel des Buches, in meiner Ausgabe auf den Seiten 364 bis 367).
Den von dir genannten Satz kenne ich nicht, aber den kannst du ja mal selbst vorstellen, wenn du die Zeit zum Abtippen findest! ;-)
lg

 
Am/um 23.04.08, 19:15 , Anonymous Anonym meinte...

Stimmt, und das ist das Schöne an der Literatur!

Den längsten Satz von Thomas Bernhard schicke ich dir einfach mal,schön ist mit Sicherheit etwas anderes, finde ich zumindest. Thomas Bernhard ist aber bekannt für solche Mammutsätze:

Die anderen Menschen fand ich in der entgegengesetzten Richtung, indem ich nicht mehr in das gehaßte Gymnasium, sondern in die mich rettende Lehre ging, gegen alle Vernunft in der Frühe nicht mehr mit dem Sohn des Regierungsrats in die Mitte der Stadt durch die Reichenhaller Straße, sondern mit dem Schlossergesellen aus dem Nachbarhaus an ihren Rand durch die Rudolf-Biebl-Straße, nicht auf dem Weg durch die wilden Gärten und an den kunstvollen Villen vorbei in die Hohe Schule des Bürger- und des Kleinbürgertums, sondern an der Blinden- und Taubstummenanstalt vorbei und über die Eisenbahndämme und durch die Schrebergärten und an den Sportplatzplanken in der Nähe des Lehener Irrenhauses vorbei in die Hohe Schule der Außenseiter und Armen, in die Hohe Schule der Verrückten und der für verrückt Erklärten in der Scherzhauserfeldsiedlung, in dem absoluten Schreckensviertel der Stadt, an der Quelle fast aller Salzburger Gerichtsprozesse und im Keller als Lebensmittelgeschäft des Karl Podlaha, der ein zerstörter Mensch und ein empfindsamer Wiener Charakter gewesen war und der Musiker hatte werden wollen und dann immer ein kleiner Krämer geblieben ist.

Der erste Satz aus Der Keller von Thomas Bernhard

Liebe Grüße

 

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